von Tigist Brhane

Im letzten Beitrag habe ich die – aus meiner Sicht jedenfalls – Schattenseiten von Bookstagram, Booktok & Co. beleuchtet. Nun folgt ein Blick auf die positiven Aspekte und Anreize, die ich in den Buch-Bubbles auf sozialen Medien und Netzwerken sehe, und wie man sie am besten für sich nutzt. Doch aufgepasst: Auch hier besteht mitunter die Gefahr, sich zu verzetteln.

Geteiltes Leid, halbes Leid, geteilte Freude, doppelte Freude

Die Vernetzung von Lesebegeisterten und das Hinzufügen einer sozialen Dimension zu einem sonst doch recht einsamen Hobby sorgt dafür, dass man seine Leidenschaft mit anderen teilen kann. Was könnte schöner sein? Menschen, die einen verstehen, die dieselben Dinge begeistert, die jedoch auch über dieselben Hürden stolpern. Da hat man schon wieder stundenlang auf dem Handy gescrolled, statt zu lesen, obwohl man es sich extra gemütlich gemacht und fest vorgenommen hat, dass es heute anders wird und man tatsächlich einige Kapitel verschlingen wird? Das Buch liegt sogar schon aufgeschlagen daneben, aber nichts da. Schon wieder in die Doomscrolling-Falle getappt. Oder erwischt man sich immer wieder dabei, wie man Buchhandlungen mit neuen Büchern verlässt, obwohl ein nicht kleiner werdender Stapel ungelesener Bücher, der sogenannte SUB, zuhause auf einen wartet? Wer könnte das besser verstehen als Menschen, die dasselbe Hobby haben, vielleicht sogar zur selben Generation gehören und auch sonstige Probleme dieser Zeit mit einem teilen? Auf BookTok & Bookstagram findet man Gleichgesinnte.

Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit

Das Leseverhalten anderer Menschen zu sehen, kann jedoch nicht nur tröstlich sein oder dafür sorgen, dass man sich freudig in einigen Dingen wiedererkennt. Es führt leider, wie bei allem auf Social Media, auch dazu, dass man sich vergleicht. Ich dümpel seit Wochen oder gar Monaten in ein und demselben Buch rum und schaffe es einfach nicht, es zu beenden, während eine andere Person in ihrem Lesevlog erzählt und zeigt, wie sie bereits bei Buch Nummer 4 der Woche ist? Nicht sehr ermutigend. Zu sehen, dass andere Menschen die Leseziele, die man sich selbst gestellt hat, nicht nur erreichen, sondern mit einer scheinbaren Leichtigkeit übertrumpfen, kann demotivierend sein. Umso wichtiger ist es, sich immer vor Augen zu führen, dass man von Contentcreator:innen nur das sieht, was sie einem zeigen und Lebensumstände, die ohnehin nie miteinander verglichen werden sollten, hier überhaupt nicht ersichtlich sind. Bei sich zu bleiben ist wichtig, und sich auf die Beiträge zu konzentrieren, die einen gut fühlen lassen, statt sich unter Druck zu setzen, obwohl das mit Sicherheit nicht die Intention der Creatorin oder des Creators war, der den Beitrag erstellt hat. Wir alle geraten mal in sogenannte „reading slumps“, in Leseflauten, wo uns so gar kein Buch begeistern kann. Oder aber uns fehlt im Alltag die Kapazität, abends noch etwas zu lesen. In vielen Beiträgen sehen wir auch: Wir sind nicht allein damit.

Lesen als politischer Akt

Wir sind auch nicht damit allein, uns gegen eine Stigmatisierung des Lesens von romantischen Büchern einzusetzen, von mal mehr, mal weniger abfällig als „Frauenliteratur“ bezeichneten Werken, die seit jeher nicht ernstgenommen werden. Durch eine nationale und globale Vernetzung von Leser:innen, aber auch Leserinnen im Besonderen wurde eine Plattform geschaffen, um sich gegen Vorurteile öffentlich wirksam wehren zu können. Um Protest hörbar zu machen. Um sich für gute Werte einzusetzen und gegen menschenverachtende oder diskriminierende Dinge innerhalb der Welt der Bücher. Das ist insbesondere in den Vereinigten Staaten durch die dortigen „Book-Bans“ in der letzten Zeit ein großes Thema geworden. Die politische Ebene vom Lesen und politische Inhalte in Büchern gewinnen an Relevanz. Was früher vereinzelt in Rezensionen stattfand, kann jetzt gebündelt über den Algorithmus der Plattformen verstärkt angezeigt werden: Kritik an einzelnen Büchern oder an der Branche als Ganzem. Personen, die Dinge tun oder schreiben, die von vielen als nicht rechtens angesehen werden (im moralischen Sinne), können jetzt zur Verantwortung gezogen werden. Es ist schwieriger geworden, sich dem zu entziehen. Insbesondere als Verlag oder Autor:in mit eigenem öffentlichem Standing. Missstände können angesprochen werden, Stimmen eine Bühne finden, die ihnen zuvor verwehrt blieb. Jedoch kann dies auch missbraucht werden und ungerechtfertigte Shitstorms über Personen des öffentlichen Lebens, ob Autor:in oder Verlagsmensch, hereinbrechen lassen. Daher ist auch die vereinfachte Bildung von gleichgesinnten Gruppen online mitunter mit Vorsicht zu genießen. Nicht jede*r hat ehrenwerte Motive.

Bookstagram, BookTok & Co. bergen viel Potenzial für Positives und verfügen über eine Menge guter Karten: Sie müssen nur richtig ausgespielt werden.

Datenschutzübersicht

Das Lektorat Kanut Kirches setzt Cookies und andere technische Mittel für den Betrieb der Website ein, für die wir Ihre datenschutzrechtliche Einwilligung nach Art. 6 Abs. 1 lit. a DSGVO benötigen.

Dabei möchten wir transparent bleiben und informieren Sie gerne über weitere Details zum Einsatz dieser Webtechnologien, die wir nur mit Ihrer Zustimmung nutzen.

Denn Sie selbst entscheiden, welche Funktionalitäten Sie zulassen möchten.
Bitte beachten Sie jedoch, dass Ihnen unsere Seiteninhalte bei einer eingeschränkten Auswahl womöglich nicht vollständig angezeigt werden können.