
Buchbezogene Inhalte auf den sozialen Medien sind nicht mehr wegzudenken. Wo einst einsam der Blog stand, haben sich nun Bookstagram, BookTok und Social-Reading-Plattformen wie Goodreads darum herum geschart. Communities sind entstanden, in denen sich alles um ein gemeinsames Hobby dreht: Bücher. Ob nun alter Hase oder ganz neu dabei: Auf Bookstagram findet jede*r ihre oder seine Nische. Nicht nur das Lesen an sich wird hier in häufig romantisierter Art und Weise dargestellt; auch das Bücherkaufen, das Dekorieren des eigenen Regals, das Einrichten einer cozy Leseecke oder das Erwerben von Buch-Merch: All das gehört zu den Inhalten, die man auf Social Media zu sehen bekommt und die einem Lesen als Hobby schmackhaft machen. Darüber hinaus findet man vielen weiteren Input für potenzielle neue Hobbys. Es wird doch mal wieder Zeit für ein neues Lesezeichen, oder? Kann man nie genug von haben. Selbst gemacht, versteht sich. Oder ist dir ein Buchcover zu fad? Kein Problem, bekleb es einfach nach deinem Gutdünken mit Glitzersteinen. Oder wie wäre es mit Häkeln, gemütlich auf dem Sessel, eingekuschelt mit einer Decke und einem Tee und natürlich mit dem Hörbuch deiner Wahl. Ideen für gemeinsame Leseabende, ein reger Austausch über Bücher und eine sehr positiv wirkende Community: All das bietet Bookstagram. Eine gerade in wieder unsicheren, gar rückschrittlich werdenden Zeiten so verzweifelt ersehnte Fluchtmöglichkeit aus einer bitteren Realität in schönere, spannendere, hoffnungsvollere oder einfach nur andere Welten als die, in der wir uns befinden. Doch birgt die globale und nationale Vernetzung von Lesebegeisterten auch ihre Schattenseiten.
Den Wald vor lauter Tropes nicht sehen
Ob das wohl insbesondere im Romantasy-Bereich unangefochten an der Spitze stehende „Enemies to lovers“, das romantische „Fake Dating“ oder kleinere Sub-Tropes wie „One bed“ oder „forced proximity“: Bei vielen der auf Bookstagram oder BookTok vorgestellten Büchern ist diese Art der Einordnung elementarer Bestandteil. Das beschränkt sich keineswegs auf die Buchbloggerinnen oder Leser:innen in der Kommentarsektion: Längst sind Verlage auf den Zug aufgesprungen und nutzen die Erwartungen und die Bereitschaft, alles zu verschlingen, was hinter besagten Tropes steckt, um ihre Werke zu bewerben. Doch was sollte daran schlecht sein? Nun, daran selbst sicherlich nichts, die Leserschaft kann so gut einschätzen, was sie erwartet und gezielter nach eigenen Präferenzen lesen. Jedoch kann es durchaus eine Selbstbeschränkung sein, nur noch offen für jene Bücher zu sein, die bestimmte Tropes aufweisen. Und ist es nicht auch ein Spoiler, wenn ich durch den Haufen an Tropes, der beim Marketing bereits offengelegt wird, eigentlich schon weiß, was passieren wird? Doch vielleicht ist genau das auch der Reiz daran. Man weiß, was einen erwartet und es geht weniger um das was als um das wie. Ein berechenbares Leseerlebnis in unsicheren Zeiten vielleicht?
Fallhöhe durch Erwartungshaltung
Womit wir beim Knackpunkt wären: Kann ein Buch solchen Erwartungen gerecht werden? Immer wieder stößt man auf Unmut, insbesondere beim Genre „Enemies to Lovers“. Lesende haben sich etwas anderes darunter vorgestellt, sicherlich auch gemessen an zuvor gelesenen Werken mit demselben Trope. Echte Feinde, echte Emotionen, Rivalitäten, erbitterte Kämpfe bis zur letztendlichen Erkenntnis: Wo einst Hass war, ist nun Liebe. Stattdessen: eine mäßige anfängliche Abneigung, die recht bald umschlägt in Zuneigung oder zumindest in eine zu Anfang rein körperliche Annäherung. Von echtem, mehr oder weniger blutrünstigem Hass, einer wirklichen Feindschaft, keine Spur. An sich nicht weiter verwerflich, doch durch die Erwartungshaltung, die durch Tropes wie Enemies to Lovers zumindest bei der versierten Leserschaft ausgelöst wird, endet ein solches Leseerlebnis in einer Enttäuschung. Eine Enttäuschung, die das Buch vielleicht gar nicht verdient hat und die nur durch intensives Marketing und voranschreitende Beanspruchung diverser Tropes entsteht und dem Werk im schlimmsten Fall nicht gerecht wird oder ihm sogar schadet. Durch das Reduzieren der Bücher auf die Tropes wird das einzelne Buch automatisch eingereiht und verglichen mit anderen, auf BookTok oder Bookstagram gehypten Büchern.
Es ist kein Zufall, dass immer mehr Bücher den gängigen und beliebten Tropes folgen, weshalb ich mich schon öfter gefragt habe, wie lange es wohl dauern wird, bis Autor:innen ihre Geschichten gezielt auf solche Motive oder Muster hin formen. Oder ist das schon längst der Fall?
Überreizt
Eine Ausrichtung der Buchbranche auf erfolgsversprechende Tropes und Motive hin ist deutlich zu beobachten. Trends und Wordings aus den sozialen Medien, die auf Verlags- oder Buchhandlungsaccounts übernommen werden, eigene Regale und Tische in Buchhandlungen („Beliebt auf BookTok“) mitsamt dazugehörender #Booktok-Bestsellerliste und sogar die Repräsentation dieser Themenbereiche auf den großen Buchmessen und der dadurch erreichte immense Zulauf: Das „Genre“ BookTok ist laut und sichtbar, schwappt auch in andere Bereiche über und bleibt nicht mehr nur in seiner Ecke. Wie lange aber wird es dauern, bis die Freude über die Präsens der früher wie heute belächelten Genres wie Romance, Romantasy oder Romantic Suspense erstickt wird von der schieren Masse an erscheinenden Geschichten? Du suchst ein neues Buch, am liebsten mit dem Trope brother’s best friend? Und noch eine Prise Arroganz oder wahlweise Dominanz, vielleicht gar Ablehnung aufseiten des männlichen Love Interests, aber she fell first, he fell harder? Bitte sehr, hier haben wir 172 davon. Dass immer mal wieder unzufriedene Stimmen lauter werden, die bereuen, sich von Bookstagram oder BookTok zum Kauf eines gehypten Buches haben verleiten lassen und die sich endlich wieder etwas Originelles wünschen, eine Geschichte, die sie richtig umhaut, hat sicherlich nicht zuletzt etwas mit der erwähnten Ausrichtung der Branche auf momentan erfolgsversprechende Themen zu tun. Vielen fehlt die Substanz, man merkt es Geschichten an, wenn sie nur Motive abhaken und sich von Trope zu Trope hangeln, weil diese gerade gut ankommen.

Ein Meer an Geschichten
Anfangs wirkte es wie ein Jackpot. So viele Geschichten, die genau nach dem eigenen Geschmack sind, aber wie lange wird es dauern, bis es uns langweilt, immer wieder Bücher nach demselben Blueprint zu lesen? Und woher überhaupt die Zeit nehmen für so viele Bücher? Wie findet man im Meer an ähnlichen, schnell für einen aktuellen Markt erscheinenden Geschichten wahre Schätze? Gehen manche Goldstücke im Meer der Neuerscheinungen unter, weil sie unter all den anderen, gehypten und wie die Faust aufs Auge auf die Anforderungen des Marktes passenden Geschichten keinen Weg an die Oberfläche finden?
Autorin dieses Beitrags
Tigist studiert Theorien und Praktiken professionellen Schreibens an der Universität zu Köln und bringt seit Februar dieses Jahres ihre Leidenschaft für Geschichten und ihr erworbenes theoretisches Wissen als Werkstudentin bei Lektorat Kanut Kirches ein. Buchbezogene Inhalte auf Social Media verfolgt sie privat schon lange und sieht darin sowohl großen Nutzen als auch einige auf den ersten Blick nicht auffallende Nachteile.

Kleines Glossar gegen das Verlaufen innerhalb des trope-ischen Waldes
Enemies to Lovers: Angefangen natürlich mit der Königsdisziplin. Der Name ist hier Programm, zumindest sollte er das sein. Enemies to Lovers sollen (eigentlich) erbitterte Feinde sein, die sich mit zunehmendem Fortschreiten der Handlung der gegenseitigen Anziehungskraft nicht mehr erwehren können. Ein sogenanntes „slow burn“ geschieht, eine langsame, Schritt für Schritt stattfindende Entfaltung der romantischen Gefühle. Liebe und Hass liegen eben bekannterweise gefährlich nah beieinander.
Fake Dating: Auch hier verrät der Name bereits, was dahintersteckt. Zwei Personen entscheiden sich aus verschiedensten Gründen (jemand anderen eifersüchtig machen, aus einem wie auch immer gearteten Vorteil dieser fingierten Beziehung heraus …), eine Beziehung oder zumindest eine Datingphase vorzutäuschen. Daraus erwächst – ich bin sicher, niemand hat es kommen sehen – dann eine echte Zuneigung, sofern sie nicht schon zu Beginn im Verborgenen bereits gelauert hat, und die beiden werden ein echtes Paar.
One Bed: Dieser Trope steht nicht für sich allein und ist eher ein Bestandteil, der anderen Tropes mitzugeordnet wird. In Enemies to Lovers oder Fake Dating beispielsweise ist diese Art der erzwungenen (räumlichen) Nähe durch das Dasein von nur einem Bett innerhalb einer Übernachtungssituation sehr beliebt.
Forced Proximity: Hier verhält es sich wie beim vorangegangenen Trope: Es wirkt unterstützend. Forced Proximity meint eine erzwungene Nähe, die Protagonistin und Protagonist unfreiwillig aneinanderbindet. Eine gemeinsame Mission, ein gemeinsamer Feind oder ein gemeinsames Projekt, vielleicht mit einer Übernachtung in misslicher Lage durch die eben geschilderte Ein-Bett-Situation und schon können die beiden nicht anders, als sich kennen und lieben zu lernen.
She fell first, he fell harder: Eine zunächst unerreichbar scheinende Person, vielleicht für die seit Jahren heimlich verknallte Protagonistin, entwickelt noch stärkere Gefühle als erstere und ist im Laufe der Geschichte völlig hin und weg von ihr. Sie hat sich zuerst verliebt, aber er sich stärker.